Innovativer Lärmschutz
Blick über den Horizont – wie andere Städte mit
dem Problem Stadtautobahn umgehen
von Gerhard Haberle.
Bei einer öffentlichen Agendaveranstaltung am 18. Mai zum Themenbereich
Stadtautobahn mit etwa 80 Teilnehmern wurden von mir als Beispiele Ulm,
Tuttlingen, Frankfurt und Hamburg vorgestellt. Dort sind Stadtautobahnen
entweder bereits umgebaut oder entsprechende Planungen sind im Gang. Bei
dieser Veranstaltung konnte aufgezeigt werden, dass mit Tunnelführung von
Stadtautobahnen, wie in Hamburg oder Frankfurt, ein erheblicher Gewinn an
Bauland entsteht.
In mehreren Städten hat die Umsetzung der Baumassnahmen einen Gewinn an
Bauland zur Folge. Es kommt damit nicht nur zur Verbesserung des Stadtbildes.
Zur Gegenfinanzierung der erheblichen Kosten, die in der Regel der Bund zu
tragen hat, können Baulandgewinne eingesetzt werden. Nach einer Studie von
Albert Speer werden die Kosten der Untertunnelung eines Abschnittes der A 661
in Frankfurt auf 220 Millionen Euro geschätzt. Die zu erwartenden Einnahmen
durch Grundstücksverkäufe beziffern Fachleute dort auf 120 Millionen Euro.
Das sind mehr als die Hälfte der Baukosten. In Hamburg wird der
Baulandgewinn ebenfalls zur Gegenfinanzierung einbezogen. Es lohnt sich also
rundum zu blicken, wie in anderen Städten mit vergleichbaren Situationen und
Problemen umgegangen wird. Nicht alleine in Marburg wird Stadtraum von einer
Stadtautobahn zerschnitten. Zudem hat in Marburg das Thema mit dem
Lückenschluss der B3 A zwischen Roth und Gisselberg weitere Aktualität
erhalten. Es ist damit zu rechnen, dass der Durchgangsverkehr zunimmt und
wachsende Schadstoffbelastungen und erhöhte Lärmbelästigungen kommen
werden.
Wie unterschiedlich Lösungen aussehen können, ist möchte ich mit zwei
Beispielen zeigen. Es geht um Ulm und Tuttlingen. Es ist zu bedenken, dass
jede Stadt und Ortschaft unterschiedliche Bedingungen hat. Beispiele sind nicht
unmittelbar übertragbar, sie sollen vielmehr Anregungen für Marburg geben.
Unerträgliche Lärmbelästigung und Schadstoffbelastung der Luft durch hohes
Verkehrsaufkommen sind gemeinsamer Antrieb für notwendige Veränderungen.
Zugleich ist der städtebauliche Schaden, den Stadtautobahnen wegen der
Trennung ganzer Stadtteile hinterlassen, Grund genug
Veränderungenanzustreben. Das Beispiel Ulm zeigt, welch städtebaulicher
Gewinn möglich ist, wenn eine sechsspurige Straße durch die Innenstadt
zurückgebaut wird.
Ulm – Rückeroberung der Stadt als Ulms Neue Mitte
Ausgangspunkt war der Rückbau der Ulmer Spange die zum Teil mit 13 Spuren
durchs Zentrum pflügte. Ulm als autogerechte Stadt zum Durchbrausen. Es war
eine mehrspurige Magistrale, die allein zum Wohl der Autofahrer die Stadt
durchschnitten hat. Mitte der 1990er Jahre stellt Ulm neue Verkehrsleitlinien
auf. Mehr Stadt wagen und weniger Autos. Der neue Entwicklungsplan machte
die Verkehrsschneise obsolet. Häuser sollten auf dem Asphalt blühen, dazu
Plätze, Passagen, neue Urbanität. Das ist gelungen und die Ulmer Bürger sind
zu beneiden.
Das Bebauungsplanverfahren wurde mit reger Bürgerbeteiligung umgesetzt. Es
gab ein Innenstadtforum mit Podiumsdiskussionen, Fachgesprächskreise mit
Architekten. Dann kam ein Satzungsbeschluss, der Einwände der Bürger
berücksichtigte. Der Umbau erfolgte in der Zeit von 2002 bis 2007.
Entstanden ist durch den Rückbau der überdimensionierten Straße eine riesige
Verkehrsinsel, die jetzt als bebaubare Fläche nutzbar ist. Die Grundstücke
wurden unter der Bedingung abgegeben, dass die Investoren auch kleine
Wettbewerbe ausschreiben.
In Ulm wurde mit dem Bau des Stadthauses auf dem Ulmer Münsterplatz und
der damit verbundenen Neuordnung des Platzes die Rückeroberung der Stadt
eingeleitet. Die Neue Mitte wird heute von der Fachpresse bejubelt. Von
gelungener Stadterneuerung ist die Rede und von Reue gegenüber den
Verkehrssünden der Vergangenheit.
Tuttlingen – Verlegung der B 311 in einen Tunnel
Nach einer dreijährigen Bauzeit wurde der Kreuzstraßentunnel am 17. Februar
2011 im Beisein von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer mit einem
Festakt eingeweiht. Die ein Kilometer lange Röhre bündelt den Verkehr zweier
Bundesstraßen, die B 14 und B 311, und unterquert Tuttlingen. Die
Tunnelführung befreit die Stadt vom Durchgangsverkehr und gibt ihr die Mitte
zurück. Auf der Tunneldecke entstehen Anwohnerstraßen mit großzügigen
urbanen Flächen. Der Bau erfolgte in offener Bauweise, im Tagebau, mit
Lüfternischen und Pannenbuchten. Die Kosten für den Tunnel belaufen sich auf
31 Millionen Euro.
Bereits 1979 hatte der ehemalige SPD Stadtrat Prof. Michal Weber in einem
Leserbrief die Idee des Tunnels ins Gespräch gebracht. Dies war „einer der
folgenreichsten Leserbriefe, der je veröffentlicht wurde“ erklärte der heutige
Oberbürgermeister Michael Beck. Ich erwähne dies, weil ich damit ermuntern
will, Leserbriefe zu schreiben wenn Menschen etwas stinkt in Marburg, etwa
Autoabgase. Vielleicht hat jemand eine zündende Idee zur Beseitigung eines
Missstandes.
Frankfurt Einhausung A 661 Teilstück Seckbach und Bornheim
In Frankfurt setzen sich der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung für
die Einhausung eines 1,2 Kilometer langen Teilstückes der A 661 zwischen
Seckbach und Bornheim ein. Das Frankfurter Planungsdezernat hatte an den
Stadtplaner Albert Speer mit einer Machbarkeitsstudie beauftragt. Das Ergebnis
liegt in drei Varianten vor.
Nach der favorisierten Variante können nach der Einhausung zwischen
Friedberger und Seckbacher Landstraße 27 Hektar Bauland entstehen, auf dem
2.430 Wohneinheiten für etwa 5.150 Einwohner gebaut werden können.
Darüber hinaus zeigt die Studie verschiedene Städtebaulichen
Entwicklungschancen auf
Stärkung des Grüngürtelkonzepts durch Gestaltung des öffentlichen
Raumes
Stadträumliche Verflechtung der Stadtteile
Nachverdichtete Entwicklungsflächen innerhalb des Stadtgefüges
Behutsame Arrondierung – also Zusammenfügen – von Stadtteilen.
Die Kosten für die Tunnelführung mit Betondeckel werden auf 220
Millionen Euro geschätzt. Einnahmen durch Grundstücksverkäufe beziffern
Fachleute auf 120 Millionen Euro.
Im September 2010 haben sich Oberbürgermeisterin Petra Roth und CDU-
Fraktionsvorsitzender Helmut Heuser mit Bundesverkehrsminister Peter
Ramsauer getroffen, um für das große Konzept zu kämpfen und zu werben.
Ramsauer will die Möglichkeiten einer Realisierung fachlich prüfen lassen, das
von Stadtplaner Speer entwickelte Konzept enthalte eine spannende Vision.
Die Autobahn verschwinden zu lassen mit ihrem Lärm und Abgasen, wird
verwirklichbar, wenn das Land Hessen und die Stadt sich angemessen
beteiligen, sagt der Bundesverkehrsminister dazu. Im Februar 2011 hat er sich
vor Ort ein Bild gemacht. Alle Chancen sind weiterhin gegeben, meint die
Oberbürgermeisterin.
Die Kommunalpolitik rechnet damit, dass es einige Jahre dauern wird mit der
Einhausung. Für die Zwischenzeit fordern sie als schnell wirkenden Lärmschutz
ein Tempolimit, als billig und einfach umzusetzende Maßnahme.
Der CDU-Fraktionschef Heuser bezeichnete die Entscheidung des Hessisschen
Verkehrsminister Posch (FDP) auf einigen Stadtautobahnen
Tempobeschränkungen aufzuheben, als falsch. Er plädiert für Tempo 80 um
Anwohner an Autobahnen vor Lärm zu schützen.
Das Aktionsbündnis unmenschliche Autobahn (AUA) in Frankfurt hält es für das
Recht betroffener Menschen vom Bund Investitionen für Lärm- und Schallschutz
zu verlangen. Die SPD hat in der Stadtverordnetenversammlung einen Antrag
eingebracht, der den Magistrat auffordert, im Rahmen eines Wettbewerbs
Studierende des Fachbereichs Architektur zu gewinnen. Diese sollen Modelle
für die Einhausung der A 661 /A 66 entwickeln. Studierende seien in ihrer
Kreativität unverbraucht und Neuem gegenüber aufgeschlossen, heißt es in der
Begründung.
Hamburg Autobahndeckel BAB 7 in Bahrenfeld, Stellingen und Schnelsen
Die Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt hatte in Hamburg einen
Realisierungswettbewerb ausgeschrieben. Aufgabe war es, Tunnelbauwerke zu
planen in den Bereichen Bahrenfeld, Stellingen und Schnelsen zur
Überdeckelung von Teilabschnitten. Umzusetzen auf einer Länge von mehr als
3.5 Kilometern der Bundesautobahn 7. Die Bauzeit wird von 2011 bis 2017
geschätzt. Die Gesamtkosten belaufen sich auf 430 Millionen Euro. Gegenstand
des vorhergehenden Wettbewerbs waren die Gestaltung öffentlicher
Grünflächen, Promenaden und Kleingartenflächen. Das Wettbewerbsgebiet
umfasst etwa 12 Hektar Flächen.
Durch diese Stadtreparatur sollen neben der Lärmschutzwirkung (zur Zeit
fahren 140.000 Autos pro Tag) neue Möglichkeiten für angrenzende Stadtteile
entstehen. Diese sind bisher durch die Autobahn zerschnittenen. Die trennende
Wirkung soll aufgehoben werden, die Stadtteile können zusammenwachsen und
werden deutlich aufgewertet. Grünflächen und bestehende Kleingartenanlagen
werden auf die Deckelfläche verlegt und dadurch frei werdenden
Verwertungsflächen können zur Finanzierung der Deckelabschnitte – wie in
Frankfurt – für Wohnungsbau genutzt werden.
Inzwischen ist der Wettbewerb abgeschlossen. Die ersten vier Preisträger sind
Büros von Berliner Landschaftsarchitekten. Ein Ankauf ging an ein Büro in
Barcelona, Spanien, denn der Wettbewerb war europaweit ausgeschrieben.
Andere Städte sind weiter – Marburg erwache
Es gibt zahlreiche weitere Beispiele in Bremen – Bochum – Düsseldorf –
Duisburg – Halle – Hannover – Heidelberg – Mühlheim – München – Nürnberg
– Saarbrücken – Stuttgart.
All dies sind Städte, in denen der Umbau entweder schon gelungen oder
geplant ist. Es ist schlichtweg so, wie Prof. Stephan Herkt von der Uni Bochum
bei seinem Vortrag im vergangenen Jahr hier gesagt hat. „Wenn sich etwas
verändern soll, muss die Stadt Marburg aktiv werden.“
Einen städtebaulichen Ansatz für eine Verlegung der B3a in Marburg beschreibt
eine bereits im Jahr 2005 entstandene Arbeit an der Universität Darmstadt. Sie
ist von den damaligen Archikturstudenten Fabian Luttropp und Ole Metzger jetzt
öffentlich vorgestellt werden und zeig